oveArchive ist ein einjähriges Dokumentations- und Forschungsprojekt darüber, wie Menschen in der heutigen Gesellschaft lieben. Mit meiner Initialfrage “Wie liebst du?” werde ich Menschen auf den Straßen Deutschlands interviewen und Orte besuchen, an denen Liebe existiert.
Das Ideal der romantischen Liebe, die völlige Verschmelzung zweier Menschen ist in uns, in unseren Köpfen, unseren Körpern und unseren Träumen. Doch in der Moderne ist die Selbstwirksamkeitserfahrung der westlichen Welt als kollektive Sozialformation gewaltig. JedeR von uns ist darauf geeicht, sich als autonomer Mensch zu verstehen. Bis zur Erschöpfung balancieren die Liebenden nun zwischen Freiheit und Verbindlichkeit: Liebe wird zunehmend als ein frustrierendes Verwalten von individuellen Bedürfnissen und Wünschen empfunden.
Die Utopie der körperlichen und seelischen Innigkeit zweier Menschen wandelt sich nunmehr in eine neuartige Realität, in der E-Sex zur Normalität und fast alle Sexualität am Markt gehandelt also kommerziell wird. Alle ahnen es: Die Paarbeziehung - in welcher Form auch immer - garantiert keinen sicheren Unterschlupf mehr. Doch was als großer Verlust von Sehnsüchten und Erwartungen vieler wahrgenommen wird hat auch etwas Gewinnendes: Die Auflösung moralisch überkommener Grenzen, die starke Ablehnung von Gewalt und Hinwendung zur Freiwilligkeit von Beziehung und Sexualität haben einen großen und positiven Anteil an dieser gesellschaftlichen Veränderung. Begehren und Sex im Alter, das Recht auf Beziehung und sexueller Lust von Frauen über 50, das Ankommen homosexueller Beziehungsformen in der Mitte der Gesellschaft, die gelebte Polyamorie sind starker Ausdruck für eine neue Wahrnehmung und Anerkennung des Körperlichen und neuer Beziehungsmodelle. Auch die Asexualität - wie der Berlinale-Siegerfilm 2018 „Touch me not“ gezeigt hat - ist authentisch in der Gesellschaft verankert und vom Pathologischen gelöst.
Vielleicht wird das echte analoge Leben aus Fleisch und Blut so von der Angst vor Versehrtheit regiert werden, dass wir in Zukunft das digitale Leben vorziehen, den Liebesschmerz ausmerzen und die leiblich/seelische Selbstoptimierung optimieren. Oder die tiefe Erkenntnis, dass erst der berührende zugewandte Kontakt des Anderen uns unsere Existenz bewusst werden lässt wird zum wichtigsten Schlüssel zur wie auch immer gearteten Liebesbeziehung…
Mit dem LoveArchive möchte ich künstlerisch erforschen, welche Formen der Liebe wir heutzutage leben. Ich möchte meine Arbeit vertiefen, indem ich Menschen verschiedenen Alters und/oder mit unterschiedlichen Perspektiven über ihre persönlichen Erfahrungen und Gedanken zu Liebesbeziehungen befrage. Darüber hinaus sind Diskussionen, Straßenbeobachtungen, Diskurse, Literatursammlungen, persönliche Berichte und Liebesbriefe Teil der Forschung. Mittels Choreografie und Performance setze ich mich dabei mit der Vielschichtigkeit menschlichen Begehrens und des Liebesausdrucks auseinander. Meine Rechercheergebnisse werde ich hier auf dieser Webseite als eine Art Tagebuch mit der Öffentlichkeit teilen mit dem Ziel, ein besseres Bild davon zu bekommen, wie wir heute lieben und wie eine Liebe in naher Zukunft aussehen könnte.
Karolin Stächele (DAGADA dance company) ist Tänzerin, Performerin und Choreografin in Freiburg, Deutschland. In ihrem Schaffen setzt sie sich mit der Thematik der Selbstpositionierung innerhalb der Gesellschaft auseinander und bewegt sich mit besonderem Interesse an der Schnittstelle von Scham und Schönheit.
Meine Beobachtungen und Erfahrungen kannst du hier in meinem Blog verfolgen. Ich werde nicht nur künstlerische Ergebnisse veröffentlichen, sondern auch persönliche Gedanken und interessante Links zum Thema teilen. Ziel dieser Recherche ist es, die Soziodiversität des Liebesthemas auf eine besondere Art einzufangen, neuen Pfaden im Zwischenmenschlichen zu folgen und sie anschließend der choreografischen Bearbeitung zugänglich zu machen.
Gefördert vom Kulturamt Freiburg und dem Landesverband Freie Tanz- und Theaterschaffende Baden-Württemberg e.V. mit Mitteln des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg.
In Zusammenarbeit mit E-WERK Freiburg / Galerie für Gegenwartskunst und Cross Attic Prag.
Eine Produktion der DAGADA dance company.